E-Scooter: Besser als ihr Ruf?

Segeberger Zeitung vom 25.11.2019 Seite 10 / Schleswig-Holstein Im Vergleich zu anderen Städten hat Lübeck gute Erfahrung mit den Rollern gemacht – Nun soll Kiel folgen

E-Scooter: Besser als ihr Ruf?

Lübeck/Kiel. Während Kiel noch ein weißer Fleck auf der E-Scooter-Karte der Sharing-Dienste ist, gehören die Roller bereits seit Sommer zum Lübecker Stadtbild dazu. Die Hansestadt war eine der ersten bundesweit, in denen die Fahrzeuge angeboten wurden. Eine erste Bilanz der Polizei fällt zumindest hier deutlich besser aus, als von Kritikern prognostiziert worden war. “Bemerkenswerte Zwischenfälle sind uns nicht bekannt geworden, das Unfallgeschehen ist gering” , fasst Stefan Muhtz von der Polizeidirektion Lübeck zusammen. Der Behördensprecher bezeichnet die E-Scooter in diesem Kontext sogar als unauffällig. In Großstädten wie Hamburg, München oder Köln zeichnet sich derweil ein anderes Bild ab. Dort beklagen die Behörden eine spürbare Zunahme von Unfällen, häufig sei dabei Alkohol im Spiel gewesen. In Lübeck scheint das Kernproblem ein anderes zu sein: ” Größere Beschwerden gibt es über das wilde, willkürliche Abstellen der E-Scooter zum Beispiel mitten auf Geh- oder Radwegen” , führt Muhtz auf. Das Thema Sachbeschädigung spielt – anders als in Großstädten wie Berlin – in der Hansestadt aber offenkundig keine große Rolle: ” Natürlich ist schon mal ein Roller aus der Wakenitz gezogen worden, besonders schwerwiegende Vorfälle sind uns aber nicht bekannt” , sagt Gerlinde Zielke vom Stadtverkehr Lübeck. In der Hansestadt hat der schwedische Technologiekonzern Voi eine Kooperation mit dem lokalen Nahverkehr geschlossen, postiert die hummerroten Roller vorzugsweise an Bushaltestellen. Ziel sei es, den Nahverkehr zu stärken und Leute dazu zu bewegen, das Auto für Stadtfahrten stehenzulassen. ” Wir sind davon überzeugt, dass E-Scooter die Mobilität in Städten nachhaltig und ökologisch verändern können” , sagt Claus Unterkircher, General Manager für den deutschsprachigen Raum. Ein knappes halbes Jahr nach dem Start in Deutschland können die Anbieter auch etwas über ihre Kunden und das Nutzungsverhalten sagen: ” Wir verzeichnen unter der Woche in den Morgenstunden sowie abends zwischen 17 und 18 Uhr einen starken Anstieg der Fahrten, was auf eine vermehrte Nutzung durch Pendler schließen lässt” , sagt David Krebs vom E-Scooter-Anbieter Tier. Einer Kundenbefragung von Voi zufolge hätten 40 Prozent der Fahrer angegeben, durch den Tretroller auf Autofahrten zu verzichten. Grundsätzlich registrieren alle Anbieter an den Wochenenden eine deutlich höhere Auslastung der Fahrzeuge. Ein Durchschnittsalter lasse sich unterdessen kaum bestimmen: ” Unsere Scooter werden von Jung und Alt genutzt” , sagt Voi-Manager Unterkircher. Eine Aussage, die Gerlinde Zielke vom Stadtverkehr bestätigen kann: Der älteste Teilnehmer eines E-Scooter-Sicherheitstrainings in der Hansestadt war 72 Jahre alt. “Mein ältester Kunde, der einen E-Scooter kaufen wollte, war sogar 94 Jahre alt” , sagt Klaus von Waldow. Der Inhaber des Elektrofahrzeug-Geschäfts ” Trankvile” will im kommenden Jahr eigene E-Tretroller in Kiel vermieten. Die Konkurrenz großer Anbieter fürchtet er nicht. Im Gegenteil: ” Je mehr Fahrzeuge auf den Straßen sind, desto größer ist die Chance, dass die Menschen selbst einmal auf einen E-Scooter steigen und ihn ausprobieren” , sagt der 55-Jährige. Es gebe viele unberechtigte Vorurteile gegen die Roller. ” Letztlich sind sie aber eine Bereicherung für den Nahverkehr und machen einfach Spaß” , sagt von Waldow. Trotz des Winterbeginns werden die Scooter in Lübeck und den anderen Städten auf den Straßen bleiben. Lime, Circ, Tier und Voi haben angekündigt, ihre Flotten zwar leicht zu reduzieren, ihre Angebote aber aufrechtzuerhalten. Lediglich bei Glatteis oder Schnee würde das Freischalten der Fahrzeuge per GPS gesperrt. Anbieter wie Tier haben unterdessen begonnen, neue Roller mit verbesserten Bremsen und helleren Leuchten einzusetzen. Auch in Lübeck wird die Flotte ausgetauscht, bestätigt Zielke. ” Das neue Modell bietet durch seine Gabelfederung, größere Reifen und ein breiteres Fußbrett mehr Komfort.” Polizeisprecher Muhtz mahnt allerdings umso mehr, die Fahrgeschwindigkeit den Straßenverhältnissen anzupassen, helle Kleidung mit Reflektoren und einen Schutzhelm zu tragen. bas